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AMC

Definition


Die Arthrogryposis multiplex congenita (von lat. arthr „Gelenk“, gryposis „abnormale Krümmung“, multiplex „vielfach“ und congenita „geboren“; auch Arthrogryposis, Guérin-Stern-Syndrom, Rossi-Syndrom, Arthromyodysplasie, Kongenitale Amyoplasie, Multiple kongenitale Arthrogrypose, Myodysplasie) ist eine angeborene Gelenksteife, bei der immer mehrere Gelenke betroffen sind. In der ausgedehnten Form sind auch Organe und Gehirn betroffen. Sie ist kein einheitliches Krankheitsbild, sondern vielmehr ein Symptomkomplex mit weit mehr als 400 beschriebenen Krankheitsbildern. Es kommt zu Veränderungen der Muskeln, Sehnen, des Bindegewebes und der Gelenkkapseln. Die Extremitäten sind typischerweise symmetrisch befallen.

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Ätiologie (Ursache)


Diskutiert werden verschiedene Hypothesen über die Entstehung der AMC. Die genaue Ursache ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Die Inzidenz liegt bei etwa 1 von 3.000 - 5.000 Geburten.


Häufig berichten die Mütter von AMC-Kindern, dass sie während der Schwangerschaft nur wenige Kindsbewegungen gespürt hätten.

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Diagnose


Grundsätzlich wäre eine Diagnose bereits während der Schwangerschaft durch Ultraschall möglich, wird aber sehr selten gestellt. Obwohl die AMC kein einheitliches Krankheitsbild hat, sind die Symptome jedoch unmittelbar nach der Geburt durch die Gelenkkontrakturen offenbar.


Das Erscheinungsbild zeigt meist röhrenförmige und strukturlose Extremitäten aufgrund der mangelhaft ausgebildeten Muskulatur. Die betroffenen Gelenke zeigen keine Hautfalten und auf der Streckseite bestehen typische Hautgrübchen. Die beteiligten Muskeln sind unterentwickelt und kraftlos.

Einteilung


Eine einheitliche und zufriedenstellende Klassifizierung gibt es bis heute nicht.


In Deutschland wird häufig wie folgt unterteilt:


Typ I
a)    Hauptsächlich betroffen sind die Hände und Füße.
b)    Betroffen sind die gesamten Extremitäten, einschließlich der Schulter- und Hüftgelenke. Die geistige und sensorische Entwicklung verläuft normal.


Typ II
Neben den Veränderungen des Typs I kommen noch Fehlbildungen unterschiedlicher Organe (z.B. Bauchdecke, Harnblase, Kopf, WS) hinzu.


Typ III
Neben den Dysmorphien liegen noch mehr oder weniger stark ausgeprägte Fehlbildungen der Wirbelsäule und des Zentralnervensystems vor, bis hin zu schwersten Fehlbildungen.


Da die AMC so vielfältige Ausprägungen besitzt, ist meiner Meinung nach die Klassifizierung in lediglich 3 Typen oftmals sehr schwierig bis gar unmöglich. Grundsätzlich kann lediglich zwischen einer reinen Amyoplasie (Typ I) und einer syndromalen AMC unterschieden werden. Weitergehend kann dann nach Fähigkeiten, wie „kann stehen, kann sitzen, kann laufen usw.“ unterteilt werden.

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Therapie


Mein grundsätzliches Ziel der kinderorthopädischen Behandlung ist das Erlangen der größtmöglichen Selbständigkeit des betroffenen Kindes. Dieses Ziel erreiche ich mit einer individuellen Kombination aus konservativer Therapie, der Unterstützung mit orthopädietechnischen Hilfsmitteln und in der Regel mehrfachen operativen Korrekturen. Ebenso wichtig ist mir die Begleitung der Bezugspersonen des betroffenen Kindes. Die Therapie einer AMC ist häufig ein langer und komplexer Prozess, der ohne das Verständnis und die Mitwirkung der Eltern an Wirksamkeit verliert. Ein individuelles Behandlungsschema, das alle Beteiligten verstehen, ist deshalb unerlässlich.


Sollte die Diagnose AMC bereits pränatal gestellt worden sein, so ist der Kontakt zu einem erfahrenen Kinderorthopäden schon vor der Entbindung empfehlenswert. Durch den frühzeitigen Kontakt bleibt genügend Zeit die Eltern umfänglich zu informieren und die erforderlichen Therapiemaßnahmen zu besprechen. Bei der AMC ist es sehr wichtig, direkt nach der Geburt mit der Therapie zu beginnen. Die Gelenke müssen bestmöglich mobilisiert und gelagert werden. Hierbei können kleine Gipsschälchen oder Seriengipse helfen.


Da die Gelenke meist nicht stabil und die korrekten Bewegungsrichtungen nicht deutlich erkennbar sind, ist Erfahrung bei der Mobilisierung äußerst wichtig. Durch eine falsch durchgeführte Therapie kann sehr schnell ein weiterer Schaden entstehen.


Leider muss ich jedes Jahr mehrere kleine Patienten behandeln, die durch eine ungeeignete Physio-, Ergo- oder Gipstherapie Gelenkschäden erlitten haben, die vermeidbar gewesen wären.

Physiotherapie


Eine geeignete Physiotherapie sollte idealerweise bereits im Geburtskrankenhaus begonnen werden, sofern ein erfahrener und geeigneter Therapeut zur Verfügung steht. Ziel ist eine maximale Mobilisation der steifen Gelenke durch passives Bewegen. Ergänzend können neurophysiologische Ansätze nach Vojta und Bobath helfen, Muskelaktivitäten anzuregen. Die erzielbaren Verbesserungen durch diese Therapien sind in den ersten Jahren besonders groß und können später entstehende Fehlstellungen verringern – sofern die richtige Gelenkstellung beachtet wird.

Ergotherapie


Die zielgerichtete Mobilisation der Arme und Hände ist für die motorische Entwicklung – insbesondere im Hinblick auf die späteren Aktivitäten des täglichen Lebens - äußerst wichtig. Hier darf nichts versäumt werden.


Die ergotherapeutische Betreuung versucht schon sehr früh, mit Hilfe von Lagerungsschälchen die Beschwerden der Kinder zu lindern. Später können diese Schälchen durch Orthesen ersetzt werden.

Orthopädietechnik/ Hilfsmitteltechnik


Orthesen oder orthopädische Schuhe stellen für viele Betroffene eine spürbare Hilfe dar. Nach operativen Korrekturen sind sie häufig sogar notwendig. Diese Hilfsmittel können nur effizient unterstützen, wenn sie richtig angepasst wurden. Ein in diesem Bereich erfahrener Orthopädietechniker mit einem kurzen Weg zum behandelnden Arzt, ist entscheidend für den Erfolg.

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Operative Therapie


In der Regel werden im Verlauf einer AMC-Therapie je nach Ausprägung mehrere Operationen notwendig.


Wirbelsäule


Bei Zunahme einer pathologischen Kypose/Skoliose muss über eine operative Begradigung und Versteifung der Wirbelsäule nachgedacht werden.


Obere Extremitäten


In schweren Fällen können die Schulterkontrakturen so ausgeprägt sein, dass ein Weichteileingriff notwendig ist.


Am Ellenbogen kann eine Fehlstellung durch knöcherne- oder Weichteileingriffe verbessert werden.


Weichteil- oder knöcherne Eingriffe am Handgelenk oder den Fingern können notwendig sein, um das Bewegungsausmaß zu erhöhen und somit eine bessere Selbstständigkeit zu erreichen.


Hüftpfanne
Bei Vorliegen einer Hüftluxation sollte frühestmöglich eine offene Hüftreposition durchgeführt werden, da eine geschlossene Hüftreposition bei AMC in der Regel erfolglos bleibt.


Bei Vorliegen eines Überdachungsdefizites/Hüftdysplasie kommen altersentsprechend unterschiedliche operative Therapiemöglichkeiten in Betracht.


Im Falle einer Pfannendysplasie kann eine Pfannendachplastik die Gefahr einer späteren Arthrose oder Hüftluxation vermindern.


Bei älteren Kindern kommt eine Salter-Operation oder eine Triple-Osteotomie in Betracht.


Hüftkopf
Bei einer Steilstellung des Schenkelhalses kann eine Varisationsosteotomie erfolgen. Dies kann je nach Alter des Patienten auch durch eine temporäre Hemiepiphysiodese mittels einer Schraube erreicht werden. Die Langzeitergebnisse sind hier nicht ausreichend belegt.
Bei extremer Innen-/Außenrotation oder Einschränkungen der Beuge-/Streckfähigkeit des Oberschenkels kann eine Oberschenkelosteotomie helfen, die gewünschte Stellung des Oberschenkels zu erreichen. Diese Eingriffe können meistens in Kombination erfolgen.


Weichteileingriffe allein sind nach meiner langjährigen Erfahrung nicht zielführend.


Untere Extremitäten


Kniegelenk
Bei einer Beugekontraktur kann eine Weichteiloperation allein oder in Kombination mit einer Extensionsosteotomie durchgeführt werden.


Durch rechtzeitige wachstumslenkende Maßnahmen in den großen Knochen vor allem der unteren Extremitäten können die Achsfehlstellungen korrigiert und dadurch oftmals größere, knöcherne Eingriffe vermieden werden.


Fuß
Mehrheitlich liegt bei einer AMC eine Klumpfußfehlstellung vor. Diese sollte zunächst nach der Ponseti-Methode mit anschließender Achillessehnentenotomie therapiert werden. Im Vergleich zum reinen kongenitalen Klumpfuß sind die Ergebnisse hier zwar schlechter, bieten aber dennoch eine gute Ausgangsbasis für später notwendige Operationen.

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